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ADHS bei Kindern und Jugendlichen

Familienaufgabe ADHS

Mütter und Väter von Kindern mit der Diagnose ADHS sind oft erschöpft und nicht selten der Verzweiflung nah. Sie sollten über die Hintergründe der Erkrankung Bescheid wissen und Zugang zu Hilfsquellen haben. Denn ADHS ist eine Familienaufgabe.
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Wahrscheinlich kennen Sie auch den Struwwelpeter, mit dem man seit Mitte des 19. Jahrhunderts versucht, Kindern auf (fragwürdig) spielerische Weise ein paar Grundregeln des täglichen Lebens beizubringen.

Dort gibt es unter anderem auch die Geschichte vom Zappelphilipp, die wie folgt beginnt:

Ob der Philipp heute still
wohl bei Tische sitzen will?
Also sprach in ernstem Ton
der Papa zu seinem Sohn,
und die Mutter blickte stumm
auf dem ganzen Tisch herum.
Doch der Philipp hörte nicht,
was zu ihm der Vater spricht.
Er gaukelt
und schaukelt,
er trappelt
und zappelt
auf dem Stuhle hin und her.
Philipp, das mißfällt mir sehr!

Das Unheil nimmt schließlich seinen Lauf, Philipp zieht Tischtuch und Essen vom Tisch und die Geschichte endet mit den Zeilen:

Beide (gemeint sind Vater und Mutter)
sind gar zornig sehr,
haben nichts zu essen mehr.

Heute würde man bei Philipp eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostizieren und Philipp wäre beileibe kein Einzelfall. Nach einer aktuellen Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) nimmt die Häufigkeit der Abrechnungsdiagnose ADHS bei Kindern und Jugendlichen kontinuierlich zu – in den letzten Jahren allerdings nicht mehr so stark. Ausgewertet wurde die in den Abrechnungsdaten der Ärzte dokumentierte Häufigkeit der Diagnose bei AOK-versicherten Kindern und Jugendlichen von 3 bis 17 Jahren. Dabei wurden keine Verdachtsdiagnosen berücksichtigt, sondern ausschließlich gesicherte Diagnosen, die der Arzt in mindestens zwei Quartalen pro Jahr erfasst hatte.

Diagramm
Quelle: WIdO
Häufigkeit von ADHS bei Kindern und Jugendlichen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht.

Typisch für ADHS ist ein Muster von Auffälligkeiten in drei Verhaltensbereichen. Diese Kernsymptome sind:

  • Motorische Hyperaktivität: Das Kind läuft oder zappelt sehr viel, wirkt ständig wie aufgezogen, kann nicht still sitzen. Es ist immer auf dem Sprung.
  • Aufmerksamkeitsstörung: Das Kind ist sehr leicht ablenkbar, bricht Spiele und Tätigkeiten immer wieder ab, bevor es sie zu Ende gebracht hat. Es kann sich nur schlecht konzentrieren und scheint nie richtig zuzuhören.
  • Impulsivität: Das Kind reagiert auf bestimmte Situationen in einer Weise, die nicht in den sozialen Kontext passt. Es wird beispielsweise unvermittelt wütend oder jähzornig und fügt sich in Schule oder Kindergarten schlecht in die Gemeinschaft ein.

Nach neuesten Studien spielen erbliche Faktoren die bedeutendste Rolle. Ein Kind kann dabei eine starke oder eine schwache Veranlagung zu ADHS haben. Gleichzeitig gilt als gesichert, dass ADHS nicht durch ein falsches Erziehungsverhalten verursacht werden kann – aber Erziehungsverhalten einen erheblichen Einfluss auf die Symptomstärke hat. Liegt zum Beispiel eine starke Veranlagung vor, so kann eine optimale Förderung den Ausbruch der ADHS-Erkrankung zwar nicht abwenden, aber den Schweregrad der Erkrankung erheblich reduzieren. Liegt eine schwache Veranlagung vor, so kann eine optimale Förderung den Ausbruch der ADHS-Erkrankung sogar verhindern.

Welche Ursachen bei einem ADHS-Kind genau vorliegen, lässt sich auch mit den besten Untersuchungen meist nicht genau bestimmen. Oft können aber sogenannte Risikofaktoren erkannt werden, die möglicherweise einen Einfluss haben. Es kommt zu einer veränderten Informationsverarbeitung im Gehirn und die Kinder mit ADHS bleiben – obwohl sie prinzipiell nicht weniger intelligent als andere sind – aufgrund der Krankheit oft hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Diagnose und Therapie

Von ADHS betroffene Kinder entwickeln die notwendige Fähigkeit zur Selbststeuerung sehr viel schwerer als andere Kinder. Sie brauchen daher besondere Unterstützung.

Besteht der Verdacht auf eine ADHS, bedarf es der gründlichen Abklärung durch einen spezialisierten Kinder- und Jugendpsychiater oder einen spezialisierten Kinder- und Jugendarzt. Steht die Diagnose fest, wird ein auf das jeweilige Kind zugeschnittener Behandlungsplan erstellt, der auch Eltern und weitere Erziehungspersonen einbezieht. Je nach Alter des Kindes und Erscheinungsbild der ADHS kommen pädagogische, psychologische und psychotherapeutische Maßnahmen zum Einsatz.

Bei ausgeprägter Symptomatik wird der Arzt oder die Ärztin zusätzlich eine medikamentöse Behandlung erwägen. Behandelt werden können die Kinder unter anderem mit dem Wirkstoff Methylphenidat, der besser unter dem Handelsnamen Ritalin bekannt ist. Dadurch kommt es zu einer Verbesserung der Filter- und Hemmfunktionen des Gehirns. Die Medikamente führen allerdings keine Heilung herbei. Die Behandlung ist manchmal Voraussetzung, damit die anderen Maßnahmen überhaupt erst greifen, können aber im längerfristigen Verlauf meist wieder abgesetzt werden.

Familienunterstützung

Wie früher zu Zeiten des Zappelphilipp geht ADHS auch heute häufig mit Konflikten in der Familie einher. Der Alltag ist für alle anstrengend – für das betroffene Kind, für Geschwisterkinder und für Eltern. Eltern können viel dafür tun, um den Familienalltag und die Situation des Kindes zu verbessern, allerdings müssen sie auch ihre eigenen Grenzen und Belastungen im Blick haben und sich vor Erschöpfung schützen.

Kinder mit ADHS brauchen in Familie und Schule eine einheitliche Orientierung. So lernen sie am besten mit der Zeit, ihr Verhalten zu verändern. Eltern sollten daher mit den Bezugspersonen in Kindergarten oder Schule zusammenarbeiten – das Gespräch mit Erziehern und Lehrern suchen, sie über die Situation und das jeweilige Therapieprogramm informieren und Möglichkeiten einer gegenseitigen Unterstützung diskutieren.

Zuhause sollten Eltern auf klar strukturierte Abläufe im Alltag achten, sich selbst konsequent verhalten und das Selbstbewusstsein ihres Kindes stärken, wo immer es geht. Gerade der Bewegungsdrang des Kindes sollte ausgelebt werden können, etwa durch Aktivitäten im Freien oder Sport.

Eltern brauchen dabei manchmal Hilfe – das kann die familiäre Situation oft deutlich entschärfen. Als Praxisteam sollten Sie betroffene Väter und Mütter deshalb unbedingt auf die vielen Hilfsangebote hinweisen (siehe Webtipp und Kasten unten).

Hilfe für betroffene Familien: Der ADHS-Elterntrainer

Mit dem ADHS-Elterntrainer hat die AOK ein neues Hilfsangebot gestartet, das sich an Mütter und Väter richtet und sie in schwierigen Erziehungssituationen unterstützt. Das wissenschaftlich erarbeitete Online-Programm bietet umfassende und kostenlose Hilfe für Eltern, die wegen der Verhaltensprobleme ihrer Kinder besonders belastet sind. Das Angebot wurde in Kooperation mit der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Köln erarbeitet.

Anhand von 44 Filmsequenzen zu typischen Situationen aus dem Familienalltag vermittelt das Trainingsprogramm einfache verhaltenstherapeutische Methoden. Eltern können sie bei Problemen schnell und unkompliziert anwenden. Ein weiteres Ziel ist es, dass Eltern in schwierigen Phasen auch eigene Bedürfnisse wahrnehmen und für sich neue Kraft tanken könnten. Der Elterntrainer vermittelt zudem umfangreiches Wissen zum Krankheitsbild ADHS und kann auch von anderen Familien in ähnlich schwierigen Erziehungssituationen genutzt werden.

Das Programm ist frei zugänglich und auch ohne Registrierung nutzbar. Auf Wunsch können sich die Nutzer trotzdem registrieren und so beim nächsten Einloggen kontinuierlich im Programm weiterarbeiten. AOK-Versicherte können sich zusätzlich von Experten beraten lassen, wenn sie Fragen zur Anwendung der Methoden des Elterntrainers haben.

www.adhs-elterntrainer.de

Webtipps