Das Magazin für Medizinische Fachangestellte

Pflegebedürftige Patienten

Erste Hilfe für die Angehörigen

Mit der Pflege eines hilfsbedürftigen Menschen ändert sich häufig auch das Leben der Pflegenden komplett. Neben körperlicher und emotionaler Belastung tauchen bei ihnen oft Fragen zum praktischen Alltag auf. Hier können Sie als Praxisteam unterstützen und auf existierende Angebote hinweisen.

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Nach Daten des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2015 2,9 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Zwei Drittel dieser Pflegebedürftigen wurden zu Hause betreut - größtenteils von Ehefrauen, Müttern, Töchtern und Schwiegertöchtern. Diese Betreuung ist sehr zeitaufwendig und geht mit einer hohen chronischen Belastung für die Pflegenden einher. Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem die Pflege von Demenzerkrankten mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigung einhergeht.

Viele pflegende Angehörige unterschätzen diese Belastung gerade am Anfang. Und mit der Zeit wird es oft schlimmer. Denn je weiter die Erkrankung des Pflegebedürftigen fortschreitet, desto mehr Aufgaben kommen auf die Pflegeperson zu. Ihre eigene Zeit wird dann immer knapper, das eigene Leben kommt zu kurz und es entsteht ein Teufelskreis. Manche Betreuer realisieren das erst dann, wenn sie von der Situation selbst krank werden.

Die Sandwich-Position

Besonders betroffen sind erwachsene Kinder, deren Wunsch zu helfen oft mit dem eigenen Lebensalltag kollidiert. Denn gleichzeitig den Eltern zu helfen, sich um die eigenen halbwüchsigen Kinder zu kümmern und womöglich noch einem Beruf nachzugehen, ist schlicht zu viel für einen oder eine.

Dabei ist der Einstieg oft schleichend: Es beginnt mit einfachen Hilfen und entwickelt sich dann nach und nach zu der typischen Pflegetätigkeit. Fehlende Zeit wird dann oft vom notwendigen Schlaf oder den Pausen am Tage abgezwackt. Sozial führt die Mehrfachbelastung viele pflegende Angehörige zunehmend in eine Isolation: Es bleibt kaum mehr Zeit für eigene Interessen und den Freundeskreis.

Deshalb ist es von großer Bedeutung, pflegende Angehörige von Beginn an zu unterstützen. Um die Möglichkeiten zu prüfen, haben Kommunen und Pflegekassen in vielen Bundesländern mittlerweile sogenannte Pflegestützpunkte eingerichtet, in einigen Kommunen gibt es zudem Senioren- oder Pflegeberatungsstellen. Dort bekommen Angehörige Beratung zu den örtlichen Hilfsangeboten. Und das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit gibt unter der Telefonnummer 030-340 60 66-02 montags bis donnerstags von 8.00 bis 18.00 Uhr und freitags von 8.00 bis 12.00 Uhr Informationen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der Pflegeversicherung.

Hilfe im Alltag

Angehörigenkreise, Behindertenorganisationen und Selbsthilfegruppen bieten einen Rahmen für intensive Gespräche oder einen Erfahrungsaustausch. Adressen von solchen Gruppen in Ihrer Nähe erhalten Sie beispielsweise über http://www.nakos.de (Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen) oder http://www.deutsche-alzheimer.de.

Durch dir Restriktionen infolge der Corona-Pandemie ist die Situation für viele pflegende Angehörige noch schwieriger geworden. Hier können Angebote wie der Familiencoach Pflege (siehe Kasten) wertvolle Unterstützung bieten.

Als Hausarztpraxis sind Sie oft der erste Ansprechpartner, wenn es um die medizinische Versorgung des Pflegebedürftigen geht. Und da die Pflegebedürftigen selbst ihre Situation - auch ihre gesundheitliche – nicht mehr selbst abschätzen können, ist es wichtig, dass die Angehörigen gut informiert sind. Doch auch wenn der Arzt sich freundlich darum bemüht, ihnen die Situation in Ruhe zu erklären, sind diese häufig selbst zu involviert oder, z. B. nach einem Schlaganfall, auch geschockt, um sich alles zu merken. Hier können Sie als Praxisteam unterstützen, indem Sie bei den Angehörigen nachhaken, ob diese alles verstanden haben. Und bei Bedarf organisieren Sie einen zweiten Termin oder ein Telefonat, bei dem noch einmal alles besprochen wird. Typische Fragen von Angehörigen sind:

  • Was ist die Ursache der Krankheit?
  • Wie wird die Krankheit voraussichtlich verlaufen?
  • Wie wird sie behandelt (Medikamente, Physiotherapie, Bestrahlung)?
  • Was kann ich als Angehöriger tun, was der Patient selbst?

Fordern Sie den pflegenden Angehörigen dazu auf, alle Fragen, die er hat aufzuschreiben und zum Arztgespräch mitzubringen. Angehörige, die weiter entfernt wohnen und den Pflegebedürftigen nur ab und an sehen, haben oft den Wunsch, sich regelmäßig mit dem Hausarzt auszutauschen – etwa um sich auf dieser Basis mit dem ambulanten Pflegedienst abzusprechen.

Ziel aller Maßnahmen ist es letztlich, betreuungsbedingte Überlastungen der Angehörigen vorzubeugen. Idealerweise helfen die Maßnahmen darüber hinaus, die Interaktion mit dem Pflegebedürftigen und damit dessen Lebensqualität zu verbessern.

Familiencoach Pflege: Hilfe für seelisch belastete Angehörige

Die AOK hat ein neues Selbsthilfeprogramm für pflegende Angehörige entwickelt. Es soll ihnen helfen, sich vor psychischer Überforderung als Folge der Pflege und der damit verbundenen Belastungen zu schützen - mit ganz praktischen Hinweisen und Übungen. Der Familiencoach Pflege bietet pflegenden Angehörigen einen zeitlich und örtlich flexiblen sowie anonymen Zugang zu den für sie wichtigen Informationen. Er ist für alle Interessierten frei und kostenlos im Internet zugänglich.

In fast 30 Videos werden schwierige Situationen im Umgang mit dem pflegebedürftigen Angehörigen beleuchtet. Die Nutzer bekommen wertvolle Hinweise, wie sie eine Überlastung durch die Pflege vermeiden und ihre Kommunikation mit dem Pflegebedürftigen verbessern können.

Da die psychischen Belastungen bei der Pflege von Demenzpatienten besonders hoch sind und die Angehörigen hier vor große Herausforderungen gestellt sind, wird diese Problematik auch besonders angesprochen. Wie gehe ich damit um, dass mein Angehöriger ständig die gleichen Fragen noch mal stellt? Was tun, wenn er immer häufiger vergisst, wo er seine Sachen abgelegt hat? Wie sollte ich auf Wahnvorstellungen und Misstrauen des Erkrankten reagieren? Zu diesen und vielen anderen Fragen aus dem Pflegealltag liefert der Familiencoach Antworten und praktische Tipps. So heißt es zum Umgang mit Wahnvorstellungen zum Beispiel: Versuchen Sie nicht, Ihren Angehörigen mit logischen Argumenten zu überzeugen, mit ihm zu diskutieren, ihn zu korrigieren oder zu kritisieren. Damit vergeuden Sie nur wertvolle Kraft und verstärken das Gefühl Ihres Angehörigen, falsch zu sein - und dieses Gefühl hat er ohnehin oft genug. Die Videos demonstrieren anschaulich, wie diese Hinweise in der Praxis umgesetzt werden können.
www.familiencoach-pflege.de